Bayonetta

Wenn kampferprobte Hexen im Mittelpunkt eines Actionspieles stehen, dann kann etwas durch und durch Mittelmäßiges dabei herauskommen wie Atari mit Bullet Witch bewiesen hat – Dass dieses Setting aber auch das Zeug zum Ausnahmespiel hat beweißt SEGA mit seiner Femme Fatal Bayonetta.

Kunst oder nicht Kunst,

Die Kämpfe sind schnell und actionreich

das ist hier die Frage. Bayonetta ist kein Spiel, das man „ein wenig mag“ oder „ganz gerne spielt“ – Spätestens wenn mitten in einem harten Kampf gegen einen der zahlreichen Bossgegner eine japanische Coverversion des Ratpack Klassikers Fly me to the Moon aus den Boxen klingt, gibt es nur zwei Alternativen: Entweder ihr spielt mit einem verzückten Lächeln weiter oder ihr nehmt das Spiel aus der 360 und legt es nie wieder ein, dazwischen ist kein Platz für Understatement oder Gleichgültigkeit.

Die Musik mit ihrer Mischung aus orchestralen, klassischen Kompositionen und den immer wieder an den (un-)möglichsten Stellen eingestreuten J-Pop Stücken ist dabei nur die Spitze des Design-Eisberges: Das Design mit seinen Gegnern, die eine abstruse Mischung aus Engeln und Monstern sind, lässt einfach keinen Platz für Neutralität, genauso wenig wie die Protagonistin. Bayonetta ist nicht einfach eine gut gebaute Hexe die zwei gewichtige Argumente spazieren trägt, Bayonetta ist eine wahre Femme Fatal: Wenn sie vor dem Duell mit einem der Bossgegner diesen verspottet und sich in einer Zwischensequenz lässig einen Lolli in den Mund schiebt und ihre Brille mit einer rosa(!!!) Pistole zurecht schiebt, dann weiß man das diese Frau einfach mehr zu bieten hat als andere.

Bayonetta, in ihrem hautengen, schwarzen Anzug, passt einfach ganz genau in die abgedrehte Welt des Spiels, hier werden die Rollen einfach mal kurzerhand umgedreht: Bayonetta steht auf der Seite der Unterwelt und versucht die Herrschaft der himmlischen Engel zu verhindern. Diese Engel haben allerdings nichts mit der landläufigen Vorstellung von Engeln gemein, ihr Aussehen reicht von geflügelten, Schnabelhelmtragenden und mit Stäben bewaffneten Vertretern über riesige Vierbeiner mit auf dem Kopf montiertem Zielvisier, an römische Galeeren erinnernde Engel die den Spieler mit Mörserfeuer eindecken bis hin zu Autos die verdächtig an Stephen Kings Buick aus Christine erinnern.

Dazu gesellen sich die abgedrehtesten Bossgegner seit langem: Stellt euch einen riesigen Greifen ohne Kopf vor auf dessen Brust ein umgedrehtes Marmorgesicht prangt und der rechts und links jeweils einen Drachenkopf auf einem langen Hals hat – Dann habt ihr eine ungefähre Vorstellung vom Artdesign des Spiels.

Die Umgebungen stehen dem in nichts nach, über verträumte, mittelalterliche Städte über ein Kollusseum, die traumhaft schöne Welt der Engel namens Paradiso bis hin zu einem Militärflugplatz und einer Autobahnbrücke reicht das Repertoire der Locations. Das absolute Highlight dürfte aber eine frei im Weltraum schwebende Kirche sein die langsam um die Erde rotiert und Schauplatz eines der harten Bossfights ist.

Argh….

Die Choreografie der Zwischensequenzen ist atemberaubend

Bayonetta ist nicht nur ein Actionspiel der Superlative, es ist gleichzeitig ein Charaktertest: Nach all den unsterblichen persischen Prinzen, den Assassinen mit Autopilot und den Rennsimulationen mit Ein-Finger-Modus hebt sich SEGAS Spektakel angenehm vom Anspruch für die breite Masse ab.

Dem Spiel macht es anscheinend einen unglaublich perfiden Spaß euch zu demütigen: Immer wenn ihr denkt ihr habt eine besonders kniffelige Stelle überstanden oder eine bewährte Kombo gefunden lacht euch das Spiel aus und vernichtet euch im nächsten Kampf. Habt ihr zum Beispiel endlich eine gute Taktik gegen einen der zahlreichen Zwischengegner gefunden so könnt ihr davon ausgehen das er im nächsten Kampf einen seiner Brüder mitbringt und euch vor völlig neue Probleme stellt, habt ihr nach einigen Auseinandersetzungen auch hier die vermeintliche Patentlösung gefunden und ein Duo Infernale besiegt kommt mit Sicherheit ein zweites Doppelpack um die Ecke.

Ihr werdet mehr als einmal frustriert das Pad unsanft beiseite legen und Bayonetta laut verfluchen, ebenso sicher werdet ihr kurze Zeit später aber auch das Pad wieder in die Hand nehmen und einen neuen Anlauf starten.

Hier liegt nämlich das Geheimnis des Spiels: Egal wie vernichtend ihr geschlagen werdet, egal wie oft ihr sterbt – Bayonetta gibt euch immer einen Hoffnungsschimmer in Form einer gelungenen Kombo, eines fast besiegten Gegners oder auch nur einer Idee mit welcher Taktik ihr Erfolg haben könntet.

Hexenhandwerk

Die Haare in Aktion: Hier einer der mächtigen Klimax Angriffe

Zudem funktioniert die Spielmechanik einfach nur sensationell gut. Die Kombos sind leicht zu erlernen und auch die stärkeren Angriffe benötigen selten mehr als vier Aktionen, zudem ist die Unterteilung in einen Schlag und einen Trittbutton für die Kombos leicht zu erlernen. Bayonetta kann zwar keine Angriffe blocken, mit einem Druck auf den rechten Trigger vollführt sie aber einen gewagten Ausweichsprung. Wird dieses Manöver ausgeführt kurz bevor die Hexe getroffen wird aktiviert sich die Hexenzeit, Bayonettas Version der Bullet Time von Herrn Payne. Hier läuft das Spiel stark verlangsamt ab während Bayonetta selber in normaler Geschwindigkeit agiert.

Dies ist gerade bei stärkeren Gegnern die einzige Möglichkeit eine der mächtigeren Kombos zu platzieren bei denen sich der schwarze Anzug aus Bayonettas Haaren in einen riesigen Fuß (natürlich in hochhackiger Stiefelette) oder eine riesige Faust verwandelt und auf euren Gegner niederfährt.. Damit leitet die einzige defensive Aktion gleichzeitig die stärksten Offensivaktionen ein, zumal man laufende Kombos jederzeit unterbrechen kann um auszuweichen und die Kombo wieder aufnehmen kann – Eine einfache und einfach geniale Designentscheidung die man spätestens dann richtig erkennt wenn man in einem harten Kampf eine Hexenzeit an die nächste reiht, mitten in einer Kombo ausweicht und die Kämpfe flüssiger wirken als alles bisher dagewesene.

Richtet ihr genug Schaden an ohne selber getroffen zu werden kann Bayonetta einen sogenannten Folterangriff durchführen: Auf Knopfdruck wird der Gegner in ein archaisches Folterinstrument geschoben und verliert entweder sofort sein Leben oder aber einen großen Teil seiner Lebensenergie. Zu den Folterinstrumenten gehören neben eiserner Jungfrau und Gilutiene auch ein überdimensioniertes mit Stachel versehenes Rad das Bayonetta stilsicher auf den Gegner schmettert um anschließend einen Burnout zu vollführen. Bei den Bossen führt ihr als Finale einen sogenannten Klimax Angriff durch: Der schwarze Anzug aus den Haaren der Hexe verwandelt sich in einen riesigen Drachenkopf, einen Vogel oder Sonstiges und zerfetzt den Boss – Eine Szene die für Genugtuung sorgt, vor allem wenn euch besagter Gegner vorher bis zu eurer Frustgrenze und darüber hinaus gereizt hat.

Nach dem Kampf sammelt ihr die Belohnung in Form der Heiligenscheine ein. Diese erinnern vom Aussehen her ein wenig an eine Belohnung aus einem anderen Spiel von SEGA, sie haben eine nicht zu verleugnende Ähnlichkeit mit den Ringen aus den Sonic Spielen. Diese Ringe könnt ihr zwischen den Levels im „Gates of Hell“ genannten Shop gegen neue Waffen, Techniken und andere Ausrüstungen eintauschen. Die wirklich starken Waffen bekommt ihr allerdings automatisch wenn ihr dem Shopbesitzer eine Schallplatte die ihr an bestimmten Stellen im Level bekommt bringt. Die Waffen reichen von neuen Pistolen über ein Katana, brennende Handschuhe bis hin zu Schlittschuhen mit denen ihr durch die Level gleitet und Gegner einfriert.

Die Endgegner sind nicht nur riesig, jeder erfordert auch eine ganz eigene Taktik

Ebenfalls als Kampfbelohnung bekommt ihr grüne, gelbe und rote Essenzen, diese könnt ihr zu den bereits angesprochenen Lollis verarbeiten, grüne Lollis füllen je nach Größe und Anzahl der verwendeten Essenzen eure Lebensenergie wieder auf, rote verstärken eure Angriffe und gelbe machen euch zeitweise unverwundbar, trotzdem gilt es vorsichtig mit dem Einsatz der Lollis zu sein, nicht das einem im nächsten Kampf die überlebenswichtige Hilfe fehlt.

Nachdem ihr ein Kapitel abgeschlossen habt könnt ihr euch weitere Bonis verdienen, dann nämlich startet das Bonusspiel Angel Attack: Hier müsst ihr an einer Art Spielautomat in bester Lightgun Manier Gegner abschießen und bekommt Punkte dafür. Ist die Munition verbraucht könnt ihr die Punkte gegen Lollis eintauschen oder euch auf euer Heiligenscheinkonto gutschreiben lassen.

Dieses Minispiel ist aber nicht die einzige Abwechslung, die einzelnen Kämpfe werden immer wieder durch Actionsequenzzen aufgelockert: Mal gilt es von einem Trümmerteil zum nächsten zu springen, mal fallt ihr im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Himmel und müsst riesigen Rosenzweigen ausweichen oder ihr rast mit einem Motorrad über eine kollabierende Autobahnbrücke. Diese Sequenzen lockern das Spielgeschehen merklich auf ohne aber deplaziert oder aufgesetzt zu wirken.

The Story of a woman

Die Story ist, im Gegensatz zum Design des Spiels, Anfangs sehr gewöhnlich entwickelt sich aber im Laufe des Spiels doch noch passend zum Design: Die himmlischen Heere blasen zum ultimativen Angriff auf die Welt um die Herrschaft an sich zu reißen und den seit Anbeginn der Zeit währenden Kampf Gut gegen Böse endgültig zu entscheiden. Die Protagonistin als letzte überlebende der Umbra Hexen soll dies verhindern, warum erfahrt ihr im Spiel anhand zahlreicher Cutscenes und Story Sequenzen. Wo sich andere Actiontitel auf eine kurze und knappe Story a la: Du gut alle anderen Böse – Schnetzeln! Beschränken kann Bayonetta groß auftrumpfen: Platinum Games erzählt eine spannende Geschichte die sich erst im Laufe des Spiels vollständig entwickelt und es schafft die anfangs wirr und zusammenhangslosen Storyfäden im letzten Drittel des Spiels zusammenzuführen und eine für diese absurde Welt nicht nur glaubwürdige und schlüssige Lösung zu präsentieren sondren auch alle Fragen zu beantworten. Natürlich kann man darüber diskutieren ob die Story in ihren Facetten nicht zu abgedreht ist, in das Design des Spiels fügt sie sich allerdings homogen ein.

Die Schwächen einer Frau

Die Folterangriffe gehören zu den stärksten Aktionen Bayonettas

Es gibt natürlich auch den einen oder anderen negativen Punkt an Bayonetta anzumerken: So ist die Grafik zwar durchweg gut und die einzelnen Schauplätze atemberaubend in ihrem Design sowie die Gegner sehr detailliert modelliert und animiert, den Texturen lassen hingegen manchmal das letzte bisschen Schärfe vermissen und das eine oder andere Objekt wirkt etwas eckig und unnatürlich. Sicherlich ist auch die Auswahl des Soundtracks eine Sache des Geschmacks und den einen oder anderen mag es stören das es nur deutsche Untertitel bei englischer Sprachausgabe gibt, letztere ist aber so gut besetzt und passend, dass sie schon wieder für das Fehlen einer deutschen Tonspur entschädigt, diese könnte einfach nur schlechter sein.

Das die Kämpfe in geschlossenen Arenen ausgetragen werden und sich der weitere Weg erst nach dem Besiegen der aktuellen Gegner öffnet und sich diese im Spielverlauf teilweise oft wiederholen könnte dem einen oder anderen auch negativ auffallen, auch wenn Bayonetta zumindest die Gegnerarmut durch geschickt inszenierte und gerade im richtigen Zeitpunkt auftauchende neue Gegnertypen ein wenig kaschieren kann.

Das wahre starke Geschlecht

Alle diese Schwächen verblassen aber im Zusammenhang mit dem fast perfekten Design des Spiels. Man merkt in jeder Szene und bei jedem Feature das Platinum Games nicht nur ein gutes Actionspiel machen wollte sondern das Ziel hat das Genre auf die nächste Stufe zu heben.

Auch auf einem Motorrad macht Bayonetta eine gute Figur

Wenn ihr gerade einen harten Kampf überstanden habt indem ihr den Gegnern ausgewichen seid und in ihrem Rücken eine verheerende Kombo gestartet habt oder vor einer Lavawelle geflüchtet seid nur um euch im nächsten Augenblick im malerischen Paradiso auf einer Lichtung im Sonnenschein wieder zu finden, wenn ihr einen der riesigen Bossgegner in bester Shadow of the Colossus Manier besteigt um ihn zu zerlegen oder einer der grandios inszenierten und choreographierten Zwischensequenzen zuseht, dann nimmt euch Bayonetta in seinen Bann und lässt euch nicht mehr los. Da wo viele etablierte Spiele aufhören, nämlich bewährte Konzepte zu kopieren und maximal leicht abzuwandeln oder zu verfeinern, da geht Bayonetta den wichtigen Schritt weiter und versucht Neues. Das aber nicht wegen des Neuen an sich sondern weil es einfach in das Spiel passt. Als Spieler fragt man sich schon wie man bisher ohne die Möglichkeit während Kombos auszuweichen und dann die Kombo fortzuführen überhaupt gespielt hat oder ob die Möglichkeit des Blockens in anderen Titeln nicht einfach nur die Faulheit der Entwickler war sich etwas neues, besseres einfallen zu lassen.

Fazit

Was für ein Spiel! Es ist unglaublich was Platinum Games hier mit Bayonetta abliefert. Natürlich ist das Settiing und das Artdesign gewöhnungsbedürftig, der Musikgeschmack höchst streitbar und das Gegnerdesign nicht jedermanns Sache, es passt aber perfekt in diese herrlich verrückte Welt des Spiels. Überhaupt: Wenn im Review öfters von Harmonie und perfektem Zusammenspiel die Rede ist trifft dies die Essenz von Bayonetta am besten: Hier ist kein Feature um des Features willen, kein Effekt wirkt deplaziert oder übertrieben. Hier sieht man ganz einfach was dabei herauskommt wenn sich ein Entwickler nicht nur mit seinem Metier auskennt sondern auch bereit ist neue Wege zu gehen: Ein Designtechnische ausgefallenes und spielerisch überragendes Spiel. Bayonetta ist nicht einfach nur das bisher beste Spiel seines Genres, es legt die Messlatte für die kommenden Titel ein ganzes Stück höher. Jeder der auch nur im entferntesten etwas für Geschnetzeltes übrig hat darf dieses Spiel keinesfalls verpassen.

Die Wertung

Bayonetta erscheint am 8. Januar 2010 bei SEGA und kostet € 69,99 (UVP)

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1. Januar 2010 | Autor: Stargaze